Eröffnung des deutschen Kulturinstituts - Ein verschwiegenes Jubiläum

Wer sonst sollte darüber schreiben? - unabhängig von institutionellen Zwängen und diplomatischer Höflichkeit. Das kann nur aus der Warte derjenigen sein, die deutsch-portugiesische Studien betreiben - zum Beispiel im Umkreis des gleichnamigen Masters, der in seiner Neuauflage seit 2016-17 in der Partnerschaft zwischen Universidade do Minho (Braga) und JWGoethe-Universität Frankfurt / Main weitergeführt wird. Im Bereich historischer Studien kann aus den angesammelten Funden, Recherchen und Erkundungen einer mittlerweile fast 30jährigen Abteilung (DEGE) geschöpft werden, an der von 1999 bis 2009 der von Prof. Koller initiierte Mestrado em Estudos Luso-Alemães in Alleinregie der Universidade do Minho bestand.

Am 9. Februar erstattete der 37jährige Universitätsprofessor Wolfgang Kayser auf dem noch frischen Dienstpapier des Deutschen Kulturinstituts dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ausführlich Bericht von der Einweihung. Sie fand am 21. Januar um 17 Uhr in den "neuen Räumlichkeiten" des Gebäudes an der Rua do Quelhas (28-30) im Lapa-Viertel statt. Man schrieb das Jahr 1944. Also könnte man jetzt das 75jährige Jubiläum feiern, wäre da nicht das nicht unwesentliche Detail eines Bruches, einer fundamentalen Diskontinuität zwischen der Gründung dieses Instituts im Zeichen der NS-Kulturarbeit im Ausland und dem Goethe-Institut der Bundesrepublik, das in seinem Website derzeit nicht das genaue Gründungsdatum angibt ("in den 1960er Jahren"). Doch wird sich so mancher noch an das Fest zum 50. Geburtstag am 1. Oktober 2012 erinnern. Und im Jahre 1969, also vor genau 50 Jahren, wurde Curt Meyer-Clason sein wohl bekanntester Leiter. Doch davon ein andermal.

Versetzen wir uns jetzt 75 Jahre zurück und lauschen wir den Klängen von Schuberts Wanderer-Phantasie und Beethovens Mondscheinsonate, wie immer souverän dargeboten von Winfried Wolf, einem gebürtigen Wiener und Schüler des dortigen Konservatoriums, der 1940 das Lissabonner Conservatório Nacional der Berliner Musikhochschule (an der er ab 1934 lehrte) vorzog.


Seine Auswanderung ins sonnige und friedliche Portugal war sicherlich bequemer und ungefährlicher als die Hals-über-Kopf-Flucht unzähliger Kunstschaffender, die als nicht-arische Untermenschen abgestempelt wurden. Das rote "J" im Ausweis reichte. Schon ab 1935 konnte sich der interessierte deutschlernende Student an der Universität Coimbra, an der auch der Germanist Wolfgang Kayser gern Vorträge hielt (1), über die Bedeutung des Wortes "Untermensch" aus der autorisierten Quelle des Sprach-Brockhauses, des Deutschen Bildwörterbuchs für jedermann, informieren: "ein Mensch mit einer meist durch erbliche Belastung bedingten geistigen und sittlichen Minderwertigkeit". Es versteht sich, dass so ein Mensch in ein "Sammellager für Sicherzustellende" - so die Brockhaus-Definition von "Konzentrationslager" - unterzubringen ist.

Doch schweifen wir nicht weiter ab und kehren zu den sanften Tönen zurück, die unter den geübten Fingern des "deutschen Pianisten Prof. Winfried Wolf" (so Kayser in seinem Bericht) hervorquellen, fernab von dem Getöse fallender Bomben und einschlagender Granaten, fernab von zerfetzten Leibern.
"Das Deutsche Kulturinstitut in Lissabon ist im vierten Kriegsjahr gegründet und im fünften eingeweiht worden" - so lapidar beginnt nicht Kaysers Bericht ans Ministerium, sondern der umfangreiche bebilderte Artikel der Journalistin Irene Seligo unter der Überschrift Der europäische Gedankenaustausch im Kriege, der am 29. Februar 1944 in der Frankfurter Zeitung veröffentlicht wurde. Der für Nuancen sensible Leser wird sicher bemerkt haben, wie dieser Beginn in  Kontrast mit der anschließend zitierten Rede des Leiters der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, Gesandter Prof. Dr. Six, steht: "Das Institut ist keine 'Kriegsgründung', seine Arbeit steht vielmehr, (...), fernab aller dem Tage dienenden Tendenz." Eben fernab, fernab auch der Schlange der Flüchtlinge auf der anderen Seite der Straße, die bei der US-Amerikanischen Botschaft für ein Reisevisum anstehen. Sie wollen weg von Europa, haben kein Interesse an so einem europäischen Gedankenaustausch.

Sie wollen bestimmt nicht dem "Altmeister der deutschen Romanistik" Karl Vossler zuhören, der bei dieser Eröffnung die "deutsche Wissenschaft" vertritt. Erst kürzlich hatte er eine Vorlesung an der Lissabonner Universität unter dem Titel "Die lateinischen Kulturen und der germanische Geist" gehalten, erwähnt Irene Seligo in ihrem Bericht, der mit einer verdächtig gewundenen Tirade gegen die "deutschfeindliche Propaganda" und mit dem Glauben an den Wiederaufbau nach dem Krieg schliesst:

Aber der Instinkt, der die feindliche Propaganda gerade die stille deutsche Kulturarbeit im Ausland mit giftigen und absurden Verdächtigungen verfolgen lässt, ist verständlich genug. Sie fürchten auch hier die Zeit, die auf der Seite des Unzerstörbaren ist. Später einmal, wenn der Wiederaufbau gekommen ist, an den wir glauben, werden gebildete Engländer und Amerikaner bei dem Gedanken an die Produkte ihres Apparats zur Umwerbung europäischer Gemüter schamrot werden müssen, so wie sie sich schon nach dem vorigen Kriege vor ihrer eigenen Greuelpropaganda ekelten. Die deutsche Kulturarbeit wird im Frieden mit dem gleichen ruhigen Selbstbewusstsein weitergehen können, wie heute.

Darin hat sich Irene Seligo, die noch bis in die 1960er Jahre, als das Goethe-Institut Lissabon gegründet wurde, in Estoril wohnte und auch weiter schrieb, grundlegend getäuscht. So sehr, dass man sich fragt, ob man zwischen den Zeilen nicht das Gegenteil lesen soll: das Wissen um die wirkliche Greuel, das fortan an deutscher Identität haftet, und das zu einer vollkommenen Neudefinition von Kulturarbeit im Ausland führen sollte. Daher ist die Eröffnung des deutschen Kulturinstituts in Lissabon vor 75 Jahren ein verschwiegenes Jubiläum in den deutsch-portugiesischen Beziehungen.

Und Wolfgang Kaysers Bericht ans Ministerium? Er beschränkt sich auch nicht auf die Einweihung selbst, nicht auf das Bankett, das Cordeiro Ramos (Präsident des Instituto para a Alta Cultura) am Sonntag darauf "in einem der ersten Lissaboner Hotels zu Ehren des Gesandten Prof. Dr. Six gab", sondern liefert auch eine "kurze Darstellung der bisherigen deutsch-portugiesischen kulturellen Beziehungen des letzten Jahrhunderts sowie der gegenwärtigen Lage". Es geht ihm dabei darum, "Wirkungsmöglichkeiten der deutschen Wissenschaft" aufzuzeigen. Sein historischer Abriss von "vier Wellen, jeweils in Abständen von 30 bis 40 Jahren", gipfelt "in den letzten Jahren" in einer "lebhaftere[n] Berührung der Portugiesen mit dem deutschen Geist":

Man darf zusammenfassend sagen, dass wir am Anfang einer fünften Welle von deutsch-portugiesischen Kulturbeziehungen stehen, die breiter, mächtiger und tiefreichender zu werden verspricht als ihre vier Vorgänger.

75 Jahre später können wir nur erleichtert aufseufzen: Gottseidank hat diese Welle nicht gehalten, was sie versprach und ist wesentlich kleiner ausgefallen.

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(1) siehe beispielsweise O Problema dos Géneros Literários (1944, Sonderdruck des Deutschen Instituts der Universität Coimbra, das als eine Vorstudie zu einem Kapitel des späteren Werkes Das sprachliche Kunstwerk (1949) verstanden werden kann; Übersetzung aus dem Portugiesischen von Ursula Kayser mit Orlando Grossegesse in Literaturtheorie am Ende? 50 Jahre Wolfgang Kaysers «Sprachliches Kunstwerk», Tübingen/Basel 2001).

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