Ein Winter in Heidelberg - Agustina bei Hilde



Aus Anlass des Todes von Agustina Bessa-Luís sei an den Blog-Eintrag vom 27. Juli 2009 erinnert (zum 100. Geburtstag von Hilde Domin).



"Ich verbrachte einen Winter in Heidelberg, im Haus einer Schriftstellerin, die einen Grossteil ihres Lebens exiliert war". So beginnt der zweite Abschnitt von Agustinas kurzer Erzählung Dominga (Erstveröffentlichung 2000). Dominga ist Agustinas Transfiguration von Hilde Löwenstein. 1954 begann diese unter dem Namen Hilde Domin Gedichte zu veröffentlichen - der Name huldigt der Exilheimat Santo Domingo, die sie im selben Jahr verliess. Kann man nach 22 Jahren Exil von Rückkehr sprechen? Im Sommersemester 1931 hatte sie in Heidelberg studiert - 30 Jahre später kehrte sie in dieselbe Stadt zurück, um dort bis zu ihrem Tod am 22. Februar 2006 zu leben. Dominga ist Agustinas Huldigung an Hilde Domin. Sie war fasziniert von der Lebenskraft der 90jährigen: "extremamente lúcida e com olhos azuis duma juventude ofuscante." Zugleich ist Dominga Selbstreflexion der damals 77jährigen Agustina. Das Schlüsselwort: Nicht Mut, sondern Wut: "Há coisas que nos consolam porque são irreparáveis. Imagine que tudo se pudesse compor neste mundo. Que os dinossauros voltavam, que os judeus se levantam das fossas onde foram empilhados como lixo. Será que tínhamos cara de os receber? O dó é necessário. A cólera é necessária", Hilde Domins Worte in Agustinas Feder. "Wann werden Sie abreisen?" - "Wann Sie wollen, Dominga. Gleich morgen" - "Es war nicht grob gemeint" - "Eu sei. Mas a cólera é necessária".





Handschuhe kaufen oder verlieren

Acht Jahre später. Als Agustina von Hilde Domins Tod erfuhr, sprach sie in ihrem Nachruf von einem "eleganten Tod": "Zusammenbruch mitten auf der Strasse (*), nachdem sie sich ein Paar Handschuhe gekauft hatte (eine eminent 'poetische Beschäftigung')". Im selben Jahr legte Agustina die Feder nieder (nach der Publikation ihres Spätwerks A Ronda da Noite) und zog sich aus dem öffentlichen Leben zurück.

Agustinas Anmerkung zu Domins Tod erinnert mich heute an Emas Antwort auf Pedro Lumiares' Frage "Sabes porque somos um país de poetas?" in Vale Abraão:

"Eu não. Perdi uma luva, e atirei a outra fora porque tinha perdido a primeira. Depois encontrei-a e tive que atirá-la ao lixo, que era o que tinha feito à segunda. Isto é poesia ou o que é?"

Anderentags rutschte Ema aus. Ein eleganter Tod?

(*) tatsächlich war sie bei Glatteis ausgerutscht. Ihr selbstgewählter Grabspruch aus Nur eine Rose als Stütze (1959): "Ich setzte den Fuß in die Luft, / und sie trug."

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