Portugal wie es leibt und lebt

Reichlich verspätet, aber immer noch aktuell – hier eine überarbeitete Fassung des Einfall-Artikels:


Nicht kleinzukriegen – die Unterschiede in Alltag & Mentalität
(Stets mit einem Augenzwinkern zu lesen)

Selbst nach zehn Jahren in Portugal fällt es mir noch immer auf: die kleinen Dinge des Alltags, wie z. B. die Angewohnheit, sich im Café einen Espresso und ein Glas Wasser („um café e um copo d’água”) zu bestellen, allerdings nur den Espresso in Rechnung gestellt zu bekommen. Ein Stehcafé würde hierzulande garantiert nicht funktionieren. Der Portugiese muss sich erstmal hinsetzen. Er hat ja Zeit – die Uhren ticken hier sowieso ganz anders. Ist euch schon mal aufgefallen, dass selten eine Stadt in Portugal über eine dieser groβen Stadtuhren verfügt?! Man nimmt es hier wirklich nicht so mit der Pünktlichkeit. Sei es beim Fernsehprogramm oder bei Verabredungen. Im Restaurant sollte man sich auch nicht wundern, wenn einem plötzlich stinknormale Chips aus der Verpackung auf dem Teller serviert werden (da frag’ ich mich immer, wozu ich ins Restaurant gegangen bin). Genauso Geschmackssache ist die Art der Beilage: in Deutschland gerade einmal Kartoffeln ODER Reis, in Portugal generell beides. Schmecken tut’s aber. Und hat man hinterher mit dem Abwasch zu kämpfen, dann wäscht der Portugiese bei flieβendem Wasser ab, während jemand aus Deutschland erstmal die Spüle volllaufen lässt…
Beinahe hätte ich das Aushängeschild eines normdeutschen Einfamilienhaus-Eingangs vergessen (und damit meine ich nicht den aus Salzteig geformten Familiennamen an der Wand oder den schon legendären Gartenzwerg im noch so kleinen Vorgarten): Schuhe ausziehen! Dem Portugiesen mag es anfangs zwar komisch vorkommen, zumindest die eifrige portugiesische Hausfrau wird sich diesen Tipp, somit das Haus etwas sauberer zu halten, gern zu Herzen nehmen (oder auch nicht, wäre ja schade um den Frühjahrsputz – man quält sich doch so gerne). Womit wir beim Thema „Qual” wären. Der Urportugiese fristet ein elendes Dasein. Er verleiht seinem selbstzerstörerischen Masochismus durch scheinbarem Gefallen am Leiden und am Am-Leiden-gesehen-werden einen schillernden Glanz alter Tage und trauert noch heute den Weltumrundungen von einst nach. Auch sonst trauert der Portugiese gern etwas länger, ohne damit gleich mit dem (von Reiseführern schon fast vergewaltigten) Fado daher kommen zu müssen.
Logisch, dass da kaum Action angesagt ist! Der Portugiese ruht sich erstmal auf den Lorbeeren von einst aus, während die noch heute Deutschland anhaftende düstere Vergangenheit zwar präsent ist, aber niemanden daran hindert, sich selbst voran zu treiben und nach vorne zu blicken. Schubladendenken? Erfahrungswerte!
Thema Selbstständigkeit. In Deutschland zieht man mit 18-20 Jahren von zu Hause aus. In Portugal, wenn man denn auszieht, geschieht dies sehr viel später und es ist auch nicht unüblich, selbst nachdem man geheiratet hat weiterhin im Hotel Mama zu wohnen. Portugiesen sind eben viel mehr Familienmenschen. Doch bei Familienfesten zeigen sich beide von der besten Seite. In Portugal sitzt man gerne mit unzähligen Verwandten an einem groβen Tisch und wendet sich den verschiedensten Leckereien zu. Früher wurde das Sonhos-Rabanadas-Bolo-Rei-Gelage sogar noch vom kollektiven “jogos sem fronteiras”-Gucken unterbrochen. In Deutschland trifft man sich genauso in geselliger Runde und hat so seine ganz eigenen Gewohnheiten. Wie zu Silvester. Da ist „Dinner for one”-Gucken ein Muss. Dazu Bockwurst mit Kartoffel- oder Nudelsalat und hinterher noch eine Runde Bleigiessen.
Wäre doch langweilig, wenn wir alle gleich wären.

Kommentare

Orlando Grossegesse hat gesagt…
Nach meinem geballten Dauer-Input in den Blog endlich einmal ein Beitrag aus dem Kreis der Autoren. Die Pluralität der Stimmen und Themen macht den Reiz dieses Blogs aus. Deswegen: weiter so!

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