Portugal fehlt in Schäfers Studie

Hans Dieter Schäfer, Das gespaltene Bewußtsein. Über deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933 bis 1945. München: Hanser, 1981, 254 Seiten (3. Auflage 1983)



In seinem gut strukturierten Leserkommentar zu Schäfers Buch fragt Herbert Huber* nach Vollständigkeit, was das Panorama betrifft. Natürlich gibt es die nicht in dieser Samlung von Studien, die ursprünglich zwischen 1973 und 1979 erschienen sind.

Die Kaschnitz ist dabei, doch der Italien-Bezug von Liebe beginnt (1933) wird nicht thematisiert (26). Wohl aber an anderer Stelle der Boom der mit dem Reisen (und ihrer Popularisierung) verbundenen Literatur, der schon in den 20er Jahren beginnt**:

„Die Vorliebe der jungen Generation für die Kleinteiligkeit führte zu einer Wiederbelebung des Reisebildes, das im Laufe der dreissiger Jahre durch Tagebuchformen zusätzlich mit Wirklichkeitsnähe angereichert wurde. (...). Der Höhepunkt des Genres fällt in den Zweiten Weltkrieg. Kriegsbericht und Reisetagebuch vermischten sich.“ (35).

Unter den Beispielen finden wir neben Max Frisch und Ernst Jünger auch Erhart Kästners Griechenland. Ein Buch aus dem Kriege (1943), ohne dass Traditionen – wie in diesem Fall der Philhellenismus und konkret das Vorbild Griechischer Frühling (1908) von Gerhart Hauptmann Erwähnung fänden. Die Attraktivität Griechenlands in einer Zeit erneuter Hinwendung zu antiken Stoffen (24-25), die dem Wunsch „sich von der Zeit und ihren Schrecken zu distanzieren und sich in eine andere Welt zurückzusehnen“ (25) entspricht, liegt auf der Hand.

In diesem Zusammenhang wäre auch ein Hinweis auf die Attraktivität Portugals angebracht gewesen, angefangen bei Portugal. Ein Reisetagebuch (1931) von Reinhold Schneider, das in gewisser Weise als Modell gelten kann.

Es folgen Neues Portugal. Bildnis eines alten Landes (1937) von Friedrich Sieburg und Delfina oder Die gute alte Zeit. Portugiesischer Bilderbogen (1942) von Irene Seligo. Beide Autoren sind Korrespondenten der Frankfurter Zeitung.

Ist Sieburg stärker der NS-Ideologie verpflichtet, durchsetzt von Antike-Bezügen (Odysseus), 'Germanismen' (Goethes Mignon-Lied und Eichendorffs "Sehnsucht" gegenüber der portugiesischen saudade) und mehr oder weniger klaren Anleihen bei Schneider (bis hin zu Plagiat, wie Alfred Opitz konstatiert***), so bietet Irene Seligo im Zeichen der immer dichteren Kriegsgrauen der Ostfront kriegsferne, im traditionellen Rollenverständnis ‚weiblich-heilende‘ Reisebilder vom ‚anderen Ende der Welt‘. Portugal in Therapie-Funktion – das sollte auch später weiter wirken.

Gibt es noch mehr vergleichbare Reisebilder aus der Zeit der 30er und 40er Jahre?

* Im Web-Site von Herbert Huber aus Wasserburg am Inn (www.gavagai.de) findet man unter der alphabetisch nach Autorennamen geordnete Rubrik „Rezensionen politischer (und verwandter) Bücher“, die im Menu Politik und Diskussion versteckt ist, Besprechungen von vielen interessanten Büchern, teilweise vernetzt.

** siehe hierzu auch Peter J. Brenner (1997), „Schwierige Reisen. Wandlungen des Reiseberichts in Deutschland 1918-1945“, in: id. (org.), Reisekultur in Deutschland: von der Weimarer Republik zum «Dritten Reich», Tübingen: Niemeyer, S. 127-176.
Dabei nimmt Brenner wiederholt auf die Studie von Johannes Graf bezug, die "stellvertretend an der Reise nach Italien die Funktionalisierung der Reiseliteratur durch die Tourismusindustrie und die NS-Propaganda" aufzeigt. Das faschistische Italien wird "als Projektionsfläche eines neuen Klassizismus, einer Verbindung von Tradition und Moderne, bestimmt, mit der die «junge Generation» einer Selbsttäuschung in bezug auf die Gefahren des Nationalsozialismus erlag" (Klappentext).
Johannes Graf (1995), «Die notwendige Reise». Reisen und Reiseliteratur junger Autoren während des Nationalsozialismus, Stuttgart: M & P Verlag für Wissenschaft und Forschung [Diss. 1994].

*** Opitz, Alfred (1990), «Friedrich von Sieburg: Estado Novo e Velho Portugal – um duplo retrato», in: Aspectos da História Luso-Alemã, (eds.) A. Gama Xavier e António C. Franco, Lisboa: Ass. Luso-Alemã para a Ciência e Cultura, S. 103-110.



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